Einige Impulse, um gut für dich zu sorgen und dich zu schützen
Ich kenne berufsbedingt eine Menge Leute, die Schwierigkeiten haben, sich gegenüber anderen abzugrenzen: gegenüber dem Partner, den Eltern, den Kindern, auch gegenüber Kunden. Es fällt so oft unendlich schwer, Grenzen zu setzen.
- Wenn wir mal genauer hinschauen, dann liegt das oft daran, dass wir uns vor den Konsequenzen fürchten:
- Wir denken, wir werden nicht mehr geliebt und/oder respektiert, wenn wir „Stopp!“ sagen.
- Wir glauben, wir dürften das einfach nicht. Weil „man“ das einfach nicht tut.
- Wir haben Angst, dass Kunden uns keine weiteren Aufträge geben, wenn wir ihnen nicht noch weiter entgegen kommen.
- Wir fürchten insgeheim, nicht mehr gebraucht zu werden.
- Wir fühlen uns als Versager, wenn es uns nicht gelingt, allen Ansprüchen gerecht zu werden.
Die gute Nachricht ist: Die anderen sind nicht so, wie wir uns das wünschen. Deine Mutter hat ihre eigenen Lebensentscheidungen getroffen, und sie wird das weiterhin tun. Dein derzeitiger Kunde kommt mit seinem Verhalten immer wieder durch, und auch das kannst du nicht ändern.
Du kannst nur deine innere Haltung ändern. Ich halte es da mit dem klugen Menschen, der mal gesagt hat, dass man es in diesem Leben nur einem einzigen Menschen wirklich, wirklich Recht machen kann: sich selbst. Alles andere ist vergebliche Liebesmüh, bei der wir uns aufreiben und letztlich immer nur verlieren: Lebensqualität, Lebensfreude, Selbstachtung, im Grunde einfach alles, was das Leben lebenswert macht.
Denn zur Grenzüberschreitung gehören immer zwei: Die Person, die ständig über deine Grenzen hinweg trampelt – und du, die Person, die das immer wieder zulässt. Das heißt, wenn du tatsächlich lernen willst, dich besser abzugrenzen, dann darfst du als erstes lernen, dich wichtiger zu nehmen als andere. Dich und deine Bedürfnisse mindestens genauso ernst zu nehmen wie die anderer.
Das ist für dich zu radikal? Du hast das Gefühl, dann egoistisch zu handeln? Du fühlst ein schlechtes Gewissen, wenn es mal nur um dich geht?
Ja. Das ist oft so. Wer von klein auf durch sein familäres Umfeld gelernt hat, dass es nicht ok ist, nein zu sagen, für den ist es tatsächlich sehr schwer, sich von diesen alten Mustern zu lösen.
Trotzdem. Du kannst heute damit beginnen, dich ernst zu nehmen, dir zuzuhören, es dir selbst zuzugestehen, dass du Grenzen hast und dass sie bitte respektiert werden sollten.
Drei Übungen für Abgrenzung und Selbstschutz
Meinen Klienten empfehle ich drei Übungen*, die dabei helfen können, die emotionale und energetische Verbindung zu Personen aufzulösen, die in der ein oder anderen Form übergriffig agieren.
Übung 1: Die liegende Acht
Wenn zwei Personen in einem Beziehungsspiel gefangen sind, bei dem es um Grenzüberschreitung geht, dann ist das so, als wären sie zusammen in einem geschlossenen Kreis. Reaktion erzeugt Gegenreaktion, und es gibt gefühlt kein Entkommen aus diesem Kreis. Im Prinzip läuft das immer gleich ab.
Stell dir nun vor, du trittst aus diesem Kreis heraus. Wähle dir einen Stift in einer „magischen“ Farbe und male dir deinen eigenen Kreis. Er kann den anderen noch berühren, wie in einer liegenden Acht, aber es gibt keinen Durchgang. Reklamiere innerlich diesen Kreis für dich. Du kannst ihn zusätzlich aufladen mit positiven Gefühlen, die du im Kontakt mit der übergriffigen Person brauchen könntest. Was würde dir hier gut tun? Auf welche Eigenschaften und Fähigkeiten möchtest du zugreifen können, sobald du dich in diesen Kreis zurückziehst?
Stell dir so lebhaft und plastisch wie möglich vor, wie es sich anfühlen wird, wenn du in deinem Teil der Acht stehen wirst und von dort aus ganz ruhig und gelassen auf die andere Seite gucken wirst.
Diese Übung kannst du regelmäßig wiederholen. Es wäre sogar sehr gut, wenn du das immer wieder tust, weil du damit dein Gehirn darauf trainierst, auch in der konkreten Konfrontation mit der übergriffigen Person innerlich deinen Kreis aufzusuchen, und das wird sich auf eure Beziehung auswirken.
Übung 2: Die Nabelschnur durchtrennen
Besonders bei Konflikten in persönlichen Beziehungen zu einem Elternteil oder zu Kindern kann auch die Vorstellung helfen, die „energetische“ Nabelschnur zu durchtrennen. Stell dir ganz bildlich vor, wie du diese durchschneidest und das abgeschnittene Teil der anderen Person zuwirfst. Vielleicht sagst du auch etwas dazu, oder machst eine Bewegung, die für dich so etwas wie „Schluss, Ende, Aus!“ signalisiert.
Auch diese Übung wirkt sich aus, wenn du sie häufiger wiederholst.
Übung 3: Abschied in Dankbarkeit
Energievampire loszuwerden, ist allerdings manchmal leichter gesagt als getan. Oft gibt es ein Geflecht aus emotionalen Verstrickungen und gefühlten Verpflichtungen, gerade bei Menschen aus dem engeren familiären Umfeld. Denn die lassen sich meist nicht so ohne weiteres komplett aus dem eigenen Leben entfernen. Dennoch kann ein klarer Schnitt und eine Trennung manchmal der einzige Schritt sein, um sich selbst zu schützen. Was immer hilft bei solchen Entscheidungen ist, dies weniger aus einer Haltung der Verbitterung oder des Grolls heraus zu tun, sondern mit Dankbarkeit.
Wenn du also entschieden hast, einem bestimmten Menschen aus deinem Umfeld in Zukunft weniger Energie zu schenken, dann nimm dir die dafür nötige Zeit und schreibe dieser Person einen Brief. Erinnere dich an die guten Momente, die es zweifellos gab. Überleg dir, was das Verhalten der Person Gutes für dich bewirkt hat. Wenn du beispielsweise ein übergriffiges Elternteil hast, das deine Grenzen nicht akzeptiert, denke darüber nach, welche positiven Folgen das für dich heute hat. Vielleicht respektierst du heute die Grenzen deiner eigenen Kinder umso besser, weil du besonders sensibel für dieses Thema bist.
Mach einen ernsthaften Versuch, solche Punkte aufzuspüren und dafür Dankbarkeit zu empfinden. Danke der Person auch schriftlich in deinem Brief. Du kannst das Loslassen dieser Person dann durch ein kleines Feuerritual abschließen: Zerknülle den fertigen Brief und verbrenne ihn in einem feuerfesten Gefäß, am besten im Freien. Stell dir dabei vor, dass aller alte Groll mit dem Rauch aufsteigt und sende zugleich deine Dankbarkeit aus.
In vielen Fällen verändert sich nach dieser Übung die Beziehung zum bisherigen Energievampir: Entweder gelingt es nun wesentlich leichter, den Kontakt zu reduzieren, und bisher verletzende Bemerkungen prallen leichter an dir ab. Zuweilen ändert sich überraschenderweise aber auch das Verhalten der jeweiligen Person. Da greifen offenbar systemische Zusammenhänge und erzeugen einen Effekt, der sich schwer erklären lässt, jedoch durch die Erfahrungen vieler Menschen gestützt wird.
Ich wünsche dir von Herzen alles Gute und freu mich, wenn du deine Erfahrungen teilen magst, auch gerne per Privatnachricht.
*Disclaimer: Es gibt keine Garantie, dass diese Übungen auch bei dir wirken. Je nach Art der Beziehung und der erlebten Verletzungen brauchst du vielleicht professionelle Hilfe.
Hallo, Frau Liebmann,
als sonst stille Leserin kann ich hier eine Kleinigkeit beitragen: Als ich noch Tanzunterricht gegeben habe, hat es mir sehr geholfen, mich bewusst von den Schülerinnen abzugrenzen. In Workshops und auch im regulären Unterricht versuchen die Teilnehmer – ist ja auch legitim – so viel wie möglich mitzunehmen und zu lernen, am liebsten bitte die Lehrerin kopieren oder das Können in den eigenen Körper verpflanzen! 😉
Das zog viel Energie aus mir, ich war hinterher oft fix und alle, bis ich mir angewöhnt hatte, vor jedem Unterricht bewusst meine Energie von der der Teilnehmer abzugrenzen. Das tatsächliche Denken „meine Energie“ mit zu mir gekehrten (schützenden) Handflächen und „eure Energie“ mit den (abwehrenden) Handflächen nach außen schafft eine gewisse Barriere! Auch in meinem Beruf, wenn ich anstrengende Kunden erwarte, nutze ich diesen „Schalter“.
Viele Grüße
Anja Rödel
Hallo Frau Rödel,
vielen Dank fürs Teilen Ihrer Erfahrungen. Ich glaube, gerade Menschen in helfenden und heilenden Berufen können davon profitieren.
Herzliche Grüße
Heide Liebmann
Liebe Heide, gerade bin ich in Vorbereitung auf einen Workshop im Bereich Intensiv-Care auf deine drei Übungen gestoßen – wunderbar, die werden gleich integriert! Vor allem die liegende Acht mit deiner plastischen Beschreibung der Gedanken und Gefühle gefällt mir gut!
Liebe Anna, das freut mich! Ich wünsche dir viel Erfolg mit deinem Workshop.
Sich selbst richtig abzugrenzen, ist ein wichtiger Aspekt im Leben. Ich gehe seit einiger Zeit zur Psychotherapie und habe dort bereits einiges über mich und meine Selbstfürsorge gelernt und dazu gehört eben auch das Abgrenzen. Ich bin gerade dabei, mir meine eigenen Strategien zu entwickeln. Ich finde die Idee, die Verabschiedung in einem Brief zu verfassen, wirklich sehr gut. So kann ich alle Gedanken und Gefühle besser darstellen, zumal mir das Schreiben eher liegt als das Sprechen. Ich werde es auf jeden Fall versuchen.
Das freut mich, Natalie, viel Erfolg.
Liebe Frau Liebmann,
vielen Dank für Ihren Beitrag!
Ich arbeite seit kurzem in einer sozialen Einrichtung, und leider ist es nicht immer leicht für mich, mich von den Energien (insbesondere dem Leid) zu distanzieren – insbesondere, da die Mitarbeitenden es mir nicht gut vorleben.
Ich helfe gerne, aber ich möchte vor allem auf gar keinen Fall meine eigene Energie loswerden, denn die gehört MIR.
Insbesondere die liegende Acht möchte ich nun öfters ausprobieren, um bei mir zu bleiben.
Herzliche Grüße!