Vergangenes Wochenende habe ich in Graz verbracht – einer wunderschönen alten Stadt, die auf jeden Fall eine Reise wert ist! Meinen Wortschatz habe ich dabei auch wieder erweitert, diesmal um das wunderschöne Wort „Gustostückerl“. Na, was könnte das sein?
Aber eigentlich wollte ich Folgendes erzählen:
Wenn ich die Möglichkeit dazu habe, nähere ich mich einer fremden Stadt am liebsten zu Fuß. Ich schlendere einfach durch die Gegend, lasse mich treiben, gucke neugierig in Hinterhöfe und enge Gässchen und beobachte bei einer Tasse Milchkaffee die Menschen um mich herum. Und ich lasse mich besonders gerne von Straßenkünstlern aufhalten. Diesmal lockte mich ein großer Kreis von Zuhörern und die letzten Töne eines Instruments, das man bei Straßenmusikern eher selten sieht: ein großes Xylophon.
Ich trat näher und wurde kurz darauf auf deutsch, jedoch mit hörbarem amerikanischen Akzent begrüßt: „Hallo an alle, die neu dazugekommen sind. Mein Name ist Alex Jacobowitz, und das …“ – große Geste hin zum vor ihm stehenden Xylophon – „… ist meine Frau!“ Erste Lacher, auch ich musste lächeln, obwohl der Gag offensichtlich nicht zum ersten Mal angebracht wurde.
Dann erzählte Alex eine nette kleine Geschichte zum nächsten Stück, der Mondscheinsonate von Beethoven. Er verriet uns, dass dieser Name gar nicht vom Komponisten selbst stammt, sondern einem Kritiker zu verdanken ist, der sich damit eigentlich eher abfällig zur Qualität des Stückes äußern wollte. Und dann schwang er seine vier Klöppel, zwei in jeder Hand, und zwar so virtuos und dabei mit so viel sichtbarer Freude – ich war ganz bezaubert! So ein Xylophon besteht aus Palisanderholz, das über Metallrohren befestigt ist, und es hat einen wunderschönen warmen Klang. Die Mondscheinsonate hörte sich auf einmal wieder frisch und neu an, und nicht wie ein schon tausendmal totgenudeltes Stück Musik.
Ich blieb auch noch für die nächsten drei Stücke und erstand nach dem zweiten spontan eine der ausliegenden CDs. Ich glaube, ich habe noch nie vorher eine CD bei einem Straßenmusiker erstanden, aber diesmal habe ich gar nicht lange überlegt.
Im Nachhinein fragte ich mich aber dann doch, wieso ich bei The Art of Xylos so rasch zugegriffen habe – und übrigens nicht die einzige war: Alle CDs gingen weg wie warme Semmeln (was übrigens auch ein schönes österreichisches Wort für „Brötchen“ ist, das man aber auch im Süddeutschen kennt 😉 ).
Und natürlich war es dann auch gar nicht schwer, die Antwort zu finden:
- Alex machte nicht „nur“ virtuos Musik: Er betätigte sich auch als Entertainer in eigener Sache.
- Er baute nach jedem Stück den Kontakt zu seinem Publikum neu auf, stellte sich vor, erzählte kleine Geschichten – einfach gute Unterhaltung.
- Jeder CD-Käufer erhielt eine kleine persönliche Widmung mit Autogramm.
- Und Alex tat vor allen Dingen etwas, das Menschen einfach magisch anzieht: Er war mit vollem Einsatz dabei – er liebt offensichtlich sein Instrument und seine Arbeit über alles. Er liebt die Menschen und teilt seine Musik gerne mit ihnen.
- Und deshalb sammelten sich in seiner „Kasse“, einem riesigen Kübel, die Scheine. Ich glaube, jeder Zuhörer hat sie ihm gegönnt.
Was wieder einmal zeigt, dass es nicht so sehr auf irgendwelche Techniken ankommt, auch wenn diese im Einzelfall hilfreich sein mögen. Es geht um die Einstellung gegenüber meiner Arbeit und meinen Kunden. Ich bin ganz sicher, dass Alex sich keinen Stress mit dem Verkaufen seiner CDs macht. Es passiert im Grunde ganz von alleine, weil er liebt, was er tut. Da geht einem einfach das Herz auf – und zuweilen auch der Geldbeutel 😉 .
Während ich dies schreibe, läuft übrigens die CD im Hintergrund, und ich finde die Musik noch immer unglaublich schön – ein sehr warmer und harmonischer Klang, der auf mich sehr beruhigend wirkt. Eben ein echtes Gustostückerl.
B“H München
Ich danke dir für die schöne Nachklänge! 🙂
Schalom,
Alex
http://www.alexjacobowitz.com
So, da ging mir ja gerade beim Lesen das Herz auf und obwohl ich gerade auf meinen Bildschirm schaue und nicht in einen Spiegel, weiß ich genau, dass meine Augen angefangen haben zu strahlen. Ich habe das bewusst einmal bei einem Souvenirverkäufer in Ueckeritz auf Usedom wahrgenommen. Auch er hatte seinen Laden voll. Aber warum ich jetzt hier wohl anfange zu strahlen? Ist es nun, weil ich die Musik durch deinen Text noch spüren kann oder weil der Text selber so hinreißend ist oder beides? Ich gebe zu, dass ich mich genau dadurch, dass jemand liebt, was er tut, auch sehr gerne hinreißen lasse. Inklusive Geldbeutelöffnen. Textzeilen im Blog, eine Stimme, ein Straßenmusiker oder auch Bobby McFerrin oder die 17 Hippies. Noch nie in meinem Leben hat mir ein Cent leid getan, den ich dafür ausgegeben habe.
Hallo Heide, dein schöner Artikel erinnert mich an einen alten Geigenbaumeister, der mir zeigte, wie er seine Instrumente herstellt und dabei mit seinen Händen liebevoll über das Holz strich. Oder an einen Meeresbiologen in Frankreich, der mir mit Begeisterung und einem Leuchten in den Augen vom Lebenszyklus verschiedener Meeresfische erzählte. Menschen, die das, was sie tun, mit Liebe und innerer Erfüllung tun, sind einfach anziehend – und auch inspirierend! Liebe Grüße, Robert
@Anke und Robert: Vielen Dank für eure liebevollen Kommentare, das tut gut!
Was für ein schöner Artikel, Heide. Und er sagt nebenbei über Dich aus, was Du über den Straßenmusiker sagst: Ganz offensichtlich liebst Du, was Du tust und machst Deinem „Publikum“ (mir jedenfalls) Appetit darauf, mit Dir arbeiten zu wollen.
Schalom aus Berlin! Dezember 2020
http://www.AlexJacobowitz.com ?