Unterbrechungen – Störungsfaktor oder Kreativ-Turbo?

cat-47514_1280Heute Morgen wurde meine übliche Routine durch das Klingeln des Telefons unterbrochen. Ich hatte noch nicht mal gefrühstückt, aber ich wusste, wer anruft: eine liebe Freundin, die mich kurz zuvor über den Facebook-Chat angepingt hatte. Es ging ihr nicht gut, sie brauchte ein mitfühlendes Öhrchen. Da habe ich nicht lange überlegt.

Jetzt, im Nachhinein, denke ich darüber nach, wann und warum ich mich unterbrechen lasse, wann nicht, und wann ich vielleicht selbst ganz bewusst Unterbrechungen einbaue in meinen Alltag.

Zum Glück gehöre ich zu den Menschen, die sich gut abgrenzen können. Wenn ich also gerade mitten in einem Job bin und es richtig gut läuft, kann ich das Telefon prima ignorieren und bringe es sogar fertig, nicht an die Tür zu gehen, wenn es klingelt. (Ok, aus Erfahrung weiß ich, dass es fast immer nur der Paket- oder Postbote ist ;-)). Auch bei bestimmten Routinen lasse ich mich normalerweise nur höchst ungern stören. Gerade morgens beginne ich den Tag meist mit ganz bestimmten Abläufen, und vor 10 Uhr gehe ich praktisch nie ans Telefon. Wer mich ohne Termin anruft, muss eben damit rechnen, dass ich gerade nicht zur Verfügung stehe.

Eine Unterbrechung dieser Muster lasse ich nur dann zu, wenn meine Bequemlichkeit oder mein Flow auf meiner Werte-Skala weniger hoch stehen als etwas anderes, in diesem Fall eben Freundschaft. Dass das ein Wert ist, der bei mir sehr hoch angesiedelt ist, merke ich daran, dass ich tatsächlich keine langen inneren Diskussionen mit mir führen muss, sondern sofort handle.

Nur zu gern lasse ich mich allerdings ablenken, wenn ich mit etwas beschäftigt bin, das zwar getan werden will, wozu ich aber wenig Lust verspüre. Motivationslevel niedrig = Unterbrechung willkommen – so lässt sich das wohl am besten zusammenfassen.

Manchmal setze ich Unterbrechungen auch ganz gezielt ein: Der Kopf ist leer, neue Gedanken wollen sich einfach nicht einstellen? Raus, vor die Tür, eine Runde um den Block, oder mit dem Laptop umziehen ins Café wirkt oft Wunder. Einfach eine Pause machen, eine Tasse trinken und dabei eine halbe Stunde den neuesten Urban-Fantasy-Roman lesen, ist sogar etwas, das ich praktisch täglich einbaue. Mir helfen diese Unterbrechungen sehr dabei, hinterher fokussiert weiter arbeiten zu können.

Zuletzt habe ich mir auch angewöhnt, meine großen Routinen zu unterbrechen, indem ich beispielsweise zwei Monate im Jahr woanders verbringe und von dort aus arbeite. Und auch neue Herausforderungen reißen mich aus meinem Trott: einen Vortrag in ungewohntem Ambiente halten und mal ohne Powerpoint, wie gerade am Samstag auf dem DVNLP-Kongress. Mich zu einer Veranstaltung anmelden ohne zu wissen, was mich da eigentlich erwartet, wie zum :agile hackathon, der am Donnerstag beginnt.

Unterbrechungen setze ich im Übrigen auch als Coach ein, indem ich meine Klienten auffordere, ihre Muster zu erkennen und mal ganz bewusst zu brechen. Das kann sehr spannende Effekte haben.

Die heutige Unterbrechung hat mir das Thema dieses Artikels geschenkt. Ich denke jetzt darüber nach, wie ich vielleicht gezielt Unterbrechungen als Routine etablieren kann … Oder ginge das schon wieder zu weit? Hm. Wie geht ihr mit Unterbrechungen um, wo erlebt ihr sie als produktiv, ab wann sind sie eher störend?

8 Kommentare zu „Unterbrechungen – Störungsfaktor oder Kreativ-Turbo?“

  1. Danke für den inspirierenden Artikel, Heide.
    Unterbrechungen bewirken auch Wunder in Seminaren oder Workshops. Wenn ich merke, die Diskussion wird irgendwie zäh oder das Energieniveau ist gesunken, kann beispielsweise eine Pause den Unterschied hervorbringen. Die zwangsläufig damit verbundene körperliche Bewegung beeinflusst ja den inneren Zustand und in der Regel ist die Gruppe nach der Pause nicht wiederzuerkennen, weil neue Ressourcen frei geworden sind.
    Eine Unterbrechung in meinem beruflichen Alltag, die ich besonders hilfreich finde, wenn es besonders stressig ist, z.B. ein Termin den anderen jagt und keine größeren Pausen möglich sind, sind kurze nur 2-3 Minuten dauernde Atemübungen. Bewußtes Atmen senkt meinen Stresslevel deutlich und lässt mich wieder zur Ruhe kommen. Darauf möchte ich nun überhaupt nicht mehr verzichten. Diese schnell wirkenden kleinen Übungen biete ich auch fast all meinen Klienten gerne an.

  2. Mir fällt auf, dass es nur noch wenige Menschen gibt, die grundsätzlich fragen, ob sie stören. Das wirkt manchmal sogar zunächst irritierend auf mich … Die meisten fallen mit der Tür ins Haus. Weil alles viel schnelllebiger geworden ist, der Informationsfluss so extrem zugenommen hat, verhalte ich mich meistens auch so … Trott ist mir fremd, unangenehme Aufgaben zwischendrin nicht. Die mache ich mir schön, indem ich mich meistens in „Vorfreude auf die Erleichterung nach ihrer Erledigung“ begebe, so eine Art meditative Haltung. Gegen Erschöpfung finde ich das tiefe Durchatmen, das bewusste Atmen zwischendrin sehr hilfreich.… Stecke ich gerade in etwas Kniffligem, empfinde ich Unterbrechung als lästig. Je nachdem, gehe ich dann nicht ans Telefon oder biete an, dass ich zurückrufe oder nebenan zu warten.

  3. Meine Lieblings-Unterbrechung ist der Kuchen am frühen Nachmittag: Wenn ich einen anstrengenden Job bis Mittag gut geschafft habe, gönne ich mir einen Spaziergang zu meinem Lieblingscafé und komme mit einem leckeren Kuchen zurück. Nach Spaziergang und Kuchen habe ich wieder einen frischen Blick für den Feinschliff und fast immer zufrieden nach Hause …

  4. Hallo Heide,
    früher, als ich noch angestellt war, habe ich mich bisweilen ganz geplant durch Anrufe oder Herausrufen durch Kollegen „stören“ lassen, um bestimmte Gesprächspartner daran zu erinnern, dass meine Zeit begrenzt ist.

    In der Gesprächsführung sind Pausen hilfreich, um eine festgefahrene Situation wieder zu beleben. Ury und Fisher empfehlen daher in ihren zahlreichen Schriften zum Harvard-Verhandlungskonzept für solche Fälle : „Gehen Sie auf den Balkon !“.
    Auch in der guten Rede ist die Unterbrechung des eigenen Redeflusses in Gestalt der Pause nicht wegzudenken. Die Aufmerksamkeit des Publikums steigt und man vermutet, dass wichtige Botschaften, die durch Pausen markiert werden, sich besser beim Zuhörer einprägen.
    Schließlich irritiert es den Dauerredner – ob am Telefon oder im direkten Kontakt- außerordentlich, wenn man nicht versucht, das Wort zu erkämpfen, sondern einfach schweigt und allenfalls nonverbal den Kontakt unterbricht.

    Coaching (und Psychotherapie) ist selbstverständlich der Anwendungsbereich für professionelles Unterbrechungen schlechthin. Hier gibt es wunderbare Tools, die zu Unterbrechungen festgefügter Muster führen und so Verhaltensänderungen unterstützen.
    Ich denke da zum Beispiel an paradoxe Interventionen wie Symptomverschreibungen: wenn etwa ein/e Paartherapeut/in einem Paar, das mit der Sexualität unzufrieden ist, die Hausaufgabe gibt, absichtlich schlechten Sex zu praktizieren.
    Bekannt ist auch das Beispiel von Milton Erickson, der einem an Schlafstörungen leidenden Mann auferlegte, des Nachts, wenn er aufwachte, aufzustehen, um den Fußboden zu polieren. Da die Aufgabe für den Patienten schlimmer war als das Problem (Ordeal), kam es zu einer Unterbrechung des Musters. Er hatte nach der vierten Nacht seinen Schlaf wieder gefunden.

  5. Liebe Evy,

    das finde ich ja einen guten Tipp: sich schon mal ausmalen, wie toll man sich fühlt, wenn die lästige Aufgabe erledigt ist. Obwohl ich mich, glaube ich, dabei dann immer noch gerne stören lassen würde … ;-).

  6. Liebe Stefanie,

    oja, die Kuchenpause, für die bin ich auch zu haben! 🙂 Heute waren es ersatzweise die leckeren Gummibärchen von dem Laden in der Altstadt, die nur aus natürlichen Zutaten hergestellt werden. Mmmh! 😉

  7. Hallo Helmut,

    strategische Unterbrecher, das hat was 😉

    Danke auch für den Hinweis auf Pausen beim Vortrag — das sind ja auch in gewisser Weise gewollte Unterbrechungen mit einer bestimmten Absicht.

    Und Musterunterbrechungen im Coaching sind in der Tat was Feines. Paradoxe Interventionen liebe ich auch!

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