[callout width=“100″ align=“left“]Mein geliebtes Netzwerk texttreff.de veranstaltet immer zum Ende des Jahres das beliebte Blogwichteln, wo wir uns gegenseitig mit interessanten Artikeln bewichteln. Diesmal hat Melanie Loessner aus der Schweiz mich mit einem sehr spannenden Thema beglückt: Nudges, die kleinen Anschubser, die uns in die richtige Richtung stupsen. Vielen Dank, Melanie![/callout]
Hast Du Dir für 2019 etwas vorgenommen? Ein paar Kilos bis zum Sommer verlieren, der nächsten Schokoladen-Heisshungerattacke öfters mal mit einer Alternative begegnen? Weniger Alkohol trinken, dafür mehr Sport machen? Allgemein weniger arbeiten oder online sein und dafür mehr mit Freunden unterwegs im realen Leben? Wie lange haben Deine guten Vorsätze gehalten? Bis heute? Oder hast Du sie bereits wieder aufgeben müssen?
Unsere Entscheidungen und Handlungen sind nicht immer rational und somit ist das konsequente Umsetzen von guten Vorsätzen auch nicht immer ganz leicht. Abweichungen von der Rationalität prägen unser menschliches Handeln. So neigen wir Menschen beispielsweise dazu, am gewohnten Status quo festzuhalten, uns oft vor unbequemen Entscheidungen zu drücken, oder wir lassen uns durch das manipulative Hervorheben von Informationen (z.B. durch die Medien) beeinflussen. Wäre es da manchmal nicht ganz praktisch, wenn uns jemand oder etwas ein bisschen in Richtung bessere oder gesündere Entscheidung schubsen würde?
Ein Beispiel: Vor rund 20 Jahren waren die Reinigungskosten für die Herrentoiletten am Flughafen Schiphol in Amsterdam immens hoch und sollten gesenkt werden. Statt des üblichen Hinweisschildes entschieden sich die Verantwortlichen für einen psychologischen Trick: um die Zielgenauigkeit zu erhöhen, wurde das Bild einer Fliege innen in die Pissoirs geklebt. In Folge reduzierten sich die Urinreste auf dem Boden massiv. Die Besucher wurden nicht einfach nur auf etwas hingewiesen oder gar belehrt, sondern unter Ausnutzung ihrer psychologischen Schwächen („Männer mögen es, Ziele ins Visier zu nehmen“) ihr Verhalten in die gewünschte Richtung gelenkt.
Dieses Phänomen nennt man Nudging. Als der Ökonom Richard Thaler und der Jurist Cass Sunstein vor gut 10 Jahren ihr Buch „Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstösst” (https://en.wikipedia.org/wiki/Nudge_(book)) veröffentlichten, landeten sie damit einen Bestseller. Sie zitierten den Begriff „Nudge“ als erste in ihrem Buch und ihre Theorie des Nudging, des sanften Anstupsens, ist seitdem populär und wird oft zitiert, wenn es darum geht, die Entscheidungen von Menschen sanft in die „richtige“ Richtung zu stossen.
Empfehlen statt verbieten
Der Begriff „Nudge“ (engl. für Schubs oder Stups) stammt aus der Verhaltensökonomik. Ein Nudge ist für Thaler und Sunstein das Gegenteil eines Befehls oder gar eines Verbots. Nudging ist vielmehr die Beeinflussung unseren unbewussten Verhaltens, indem uns die „richtige Wahl” attraktiv gemacht wird, jedoch ohne unsere Wahlfreiheit einzuschränken. Mit Nudging ist eigentlich jede/r von uns schon einmal unwissentlich in Berührung gekommen.
Die Situation beeinflusst unsere Wünsche
Das Phänomen der „Entscheidungsarchitektur“ hat ein besonderes Potenzial, das Verhalten von Menschen tatsächlich zu beeinflussen. Hierfür gibt es Beispiele aus ganz unterschiedlichen Bereichen. So können „Entscheidungsarchitekturen“ ohne Verbote Ziele wie Gesundheit oder Verkehrssicherheit erzielen, den umsichtigen Umgang mit Ressourcen fördern oder sogar in Unternehmen und Organisationen für Veränderungsprozesse eingesetzt werden. Wichtig sind dabei die Charakteristika der Nudges, denn sie sollen
- transparent sein
- die Entscheidungsfreiheit gewähren
- ethisch korrekte Ziele verfolgen
- ohne finanzielle Anreize auskommen
Kategorien von Nudges:
Grundsätzlich lassen sich Nudges in drei verschiedene Kategorien einteilen.
- Default-Optionen: „Privacy by Default“, wie es die neue Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vorsieht, ist eine klassische Default-Option. Hierbei schützen datenschutzfreundliche Voreinstellungen den Verbraucher davor, ungewollt persönliche Daten preiszugeben.Wird auf der Stromabrechnung Ökostrom als Standardoption eingeführt, erhöht sich der Absatz von erneuerbaren Energien. Aber auch ein neuer Vorstoss zur Organspende-Regelung ist ein gutes Beispiel. Wer nicht widerspricht, wird automatisch zum Spender. Die einfachste Erklärung ist, dass wir von Grund aus bequem sind und möglichst wenig Aufwand betreiben möchten, Dinge zu ändern, die eigentlich gut funktionieren. Solche Änderungen der Entscheidungsgrundlage werden auch als „Nudging“ bezeichnet.
- Re-Framing: Hier gibt es viele schöne Beispiele aus dem Bereich Essgewohnheiten. Die Grösse unseres Tellers und die Reihenfolge der Speisen beeinflusst unser Essverhalten. Bekommen wir eine Portion statt auf einem grossen auf einem kleinen Teller angeboten, nimmt unser Unbewusstes diesen als voller wahr. Wird das Obst attraktiv vor dem Süsskram platziert, so essen wir mehr davon. Das Gegenteil dazu „verführt“ uns schon viele Jahre: ungeplantes Mehressen und -trinken durch das Angebot von XXL-Portionen.
- Direction-Nudge: Die Fliege im Urinal ist das meistzitierte Beispiel für die Wirksamkeit des Nudgings. Fussabdrücke, die uns den Weg zum nächsten Abfalleimer zeigen, reduzieren die Vermüllung von öffentlichen Plätzen und Handtuchspender mit Füllstandsanzeige vor der Silhouette unseres Planeten lassen uns unbewusst weniger davon benutzen.Besonders wichtig am Konzept Nudging ist, dass keine Optionen verboten werden dürfen. Es wird lediglich der Entscheidungskontext so verändert, dass wir uns eher für die gewünschte oder vorgegebene Entscheidung entscheiden.
Nudging als mächtiger Werkzeugkasten für den Bereich Ernährung
Gerade unsere alltäglichen Entscheidungen, die für das Gesundheitsverhalten wichtig sind wie Bewegung oder ausgewogene Ernährung, treffen wir oft automatisch oder unbewusst und zudem beeinflusst von der jeweiligen Umgebung. Treffen wir auf veränderte Umgebungsfaktoren, so fällt es uns leichter uns gesundheitsbewusst zu ernähren oder genügend zu bewegen. Andererseits setzt uns die Lebensmittelindustrie permanent Nudging aus. Oft werden besonders ungesunde Lebensmittel mit hoher Gewinnmarge in idealer Reichweite präsentiert. „Bückware“ hingegen wird so platziert, dass wir sie nur schwierig finden. Gehen wir in ein Restaurant, entscheiden wir meist vor Ort, was wir bestellen und reden uns gerne ein, dass wir das auswählen was wir rationalerweise am stärksten wollen. In der Realität lassen wir uns aber von irrationalen Bauchentscheiden und anderen Faktoren beeinflussen, derer wir uns nicht bewusst sind. Fällt meine Entscheidung wirklich für das Menü 1, weil ich Lust darauf hatte – oder weil es auf der Karte ganz oben stand? Anordnung und Positionierung von Optionen haben einen bisweilen überraschend grossen Effekt auf unsere Auswahl. Eine weitere Nudging-Methode ist Labeling. Sind Produkte gezielt mit zusätzlichen Informationen wie Kalorienangaben oder Angaben zur Herkunft versehen, lassen wir uns auch davon in unserer Wahl beeinflussen und entscheiden uns vielleicht für die klimafreundliche Variante oder eine, die weniger Food Waste verursacht.
Nudging in Unternehmen
Klug und mit Bedacht in Unternehmen platziert, können Nudges beispielsweise dabei helfen, die Meeting-Kultur zu optimieren. Sei es durch die Veränderung der üblichen Standardzeit von Sitzungen (40 statt wie gewohnt die üblichen 60 Minuten), oder durch einen gut gewählten Meetingzeitpunkt um 11.15 Uhr (und somit mit dem Ziel auf eine pünktliche Mittagspause). Eine Ankündigung, dass zu Beginn des Meetings jeder ein kurzes Feedback zum letzten Protokoll oder zum heutigen Programm abgeben soll, führt dazu, dass Dokumente VORHER gelesen werden. Eine Sanduhr auf dem Tisch oder grosse sichtbare Uhren an den Wänden veranschaulichen das Verrinnen der Zeit für alle und regen zu Fokussierung und Zielorientierung an. Populär sind derzeit auch Stand-Up-Besprechungen, die das Engagement der Beteiligten erhöhen und es erleichtern, eben mal aufzustehen und z.B. Ergebnisse auf einem Flipchart zu visualisieren.
Das Konzept des Nudging klingt überzeugend und sinnvoll und die Theorie lässt sich bei der Gestaltung von Entscheidungsprozessen nahezu überall einsetzen. Ein häufiger Kritikpunkt ist die Meinung, dass Nudging aber auch eine Form der Manipulation sein kann, da es unser Verhalten beeinflussen kann, ohne dass wir diese Beeinflussung direkt erkennen können. Wird Nudging eingesetzt, um ein wünschenswertes Verbraucherverhalten zu fördern oder die Zusammenarbeit in einem Unternehmen zu verbessern, sollte dies auf eine angemessene und unaufdringliche Art und Weise geschehen und den Beteiligten unbedingt die Wahlfreiheit lassen, wofür sie sich letztendlich entscheiden.
Wenn wir es nicht anderen überlassen möchten, können wir uns übrigens auch in vielen Situationen einfach selber „nudgen“: gut sichtbar platziert und appetitlich angerichtet greifen wir Zuhause oder am Arbeitsplatz lieber zu Früchten, Salat oder Gemüse, als wenn diese gut verpackt in Küchenschrank, Keller oder Kühlschrank warten. Umgekehrt stellen wir unseren inneren Schweinehung vor eine grosse Hürde, wenn wir die Süssigkeitenvorräte weit weg verstecken oder vorab in Tagesrationen aufteilen. Am besten ist es natürlich, den Vorrat gar nicht erst aufzufüllen. Das ist übrigens unsere ganz eigene freie Entscheidung.
Auf Pinterest hat Melanie übrigens eine Pinnwand angelegt, mit vielen guten Ideen und Beispielen zum Thema Nudging, nicht nur rund ums Essen: https://www.pinterest.ch/vitamintexte/nudging/
Melanie Loessner engagiert sich als Ernährungswissenschaftlerin seit 2017 mit vitamintexte (www.vitamintexte.ch) im Raum Zürich und der Schweiz für gehaltvolle Ernährungskommunikation mit Blick über den Tellerrand. Ausser Texten zu Ernährungsthemen gehören dazu auch Vorträge, Projekte im Bereich Gesundheitsförderung und Workshops, z.B. zum Thema Nudging, aber auch zu vielen anderen.
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