Nicht immer, aber ziemlich oft beobachte ich bei Workshop-Teilnehmern oder Klientinnen ein interessantes Phänomen: Wenn ich direkt nach ihren Stärken frage nämlich.
Viele fallen dann in eine Art Schockstarre, die einen regelrechten Blackout zur Folge hat. Oft höre ich dann erst mal so was wie „Ääh … ja …“ Es ist, als ob diejenige Person gerade alles vergessen hätte, was zu ihren herausragenden Eigenschaften und Fähigkeiten zählt.
Mir kommt das so vor wie der Prüfungseffekt: „Eigentlich“ hat man ja alles gelernt und im Kopf, und nun soll plötzlich zum genau richtigen Zeitpunkt das gesamte mühsam angeeignete Know-how verfügbar sein. Aber es fühlt sich an, als sei der Weg zum Wissen plötzlich verbarrikadiert und total unzugänglich.
Das große Schweigen …
Diese Schockstarren-Reaktion auf die Frage nach den eigenen Stärken kann verschiedene Ursachen haben:
- Oft gibt es da in uns drin so eine boshafte leise Stimme, die uns glauben machen will, dass wir ja in Wahrheit gar nichts können – es hat nur noch niemand gemerkt! In der Sozialforschung nennt man das den Hochstapler-Effekt. Wer darauf hört, kann natürlich keine überzeugenden Antworten geben.
- Besonders Frauen haben auch immer noch so ein Bescheidenheits-Thema und trauen sich nicht, selbstbewusst zu ihren Stärken zu stehen. Das heißt, sie wissen zwar eigentlich schon, was sie können, aber sie denken, es wäre irgendwie unfein, das zu äußern. Oder sie würden angeberisch oder gar arrogant erscheinen. Himmel hilf, wer wollte das schon! Zu diesem Thema habe ich schon vor Jahren mal gebloggt: „Ich bin doch nix Besonderes!“
- Am häufigsten begegnet mir die Variante, dass die jeweiligen Schwächen oder Defizite sofort und ohne Ansage aufgezählt werden können, nach dem Motto „Na ja, ich kann schon ganz gut schreiben, ABER natürlich müsste ich bei Webtexten noch einiges dazulernen!“ oder „Ich denke schon, dass ich meinen Teilnehmern als Trainerin was mitgeben kann. ABER methodisch haben viele Kollegen doch deutlich mehr drauf als ich.“ Das heißt, der Fokus liegt meist sofort darauf, was man (noch) nicht so gut kann statt bei den Dingen, die man prima beherrscht.
Na, kommt dir das irgendwie bekannt vor?
Schockstarren-Kur in drei Schritten
Falls ja, dann kommt hier meine Schockstarren-Kur. Sie wirkt sofort, vor allem aber auch langfristig. Denn es geht ja darum, ein gesundes Verhältnis zu den eigenen Stärken zu bekommen. Das heißt, du sollst in Zukunft selbstbewusst kommunizieren können, was du drauf hast, und zwar immer dann, wenn es auch um was geht.
Im einzelnen habe ich drei Maßnahmen für dich:
- Als Soforthilfe: Nimm dir jetzt ein großes Blatt Papier und notiere darauf mindestens 20 Gründe, warum du für deine Freundinnen und Freunde, deine Familie, deine Kundinnen und Kunden und für die Welt an sich besonders liebenswert und wertvoll bist. Was schätzen alle diese Menschen an dir? Warum rufen sie dich an? Mit welchen Fragen kommen sie zu dir? Worüber freuen sie sich mit dir?
- Als mittel- und langfristige Wohlfühldusche: Schreibe mindestens 5 Menschen, auf deren Urteil du Wert legst, eine Mail oder einen Brief. Erzähl ihnen, was dir an ihnen liegt, wieso du schätzt, was sie tun, und warum du so dankbar bist, dass sie in deinem Leben sind. Während du dabei bist, wirst du bereits merken, wie gut dir das tut. Und vielleicht fällt dir auf, dass das, wofür du anderen dankst, oft auch zu deinen eigenen guten Eigenschaften gehört. Wir umgeben uns nämlich gern mit Menschen, die uns ähnlich sind, weil uns das gut tut. Und es gibt noch einen sehr wunderbaren Effekt, wenn du das tust: Sehr oft antworten die Angeschriebenen nämlich. Und sie werden dir ihr Feedback schenken und dir verraten, was sie ihrerseits ganz besonders an dir mögen. Wenn sie dich anrufen, hör genau zu und schreibe dir hinterher auf, was sie dir gesagt haben. Denn es wird auch wieder Zeiten des Selbstzweifels und des Sich-klein-Fühlens geben. Nichts ist dann so wertvoll wie dieser Schatz, denn ich garantiere dir, dass die Lektüre dich immer wieder aufmuntern und aufbauen wird.
- Als langfristige Maßnahme: Besorge dir ein schönes Notizbuch. Jeden Abend nimmst du dir 5-10 Minuten Zeit und schreibst auf, was dir an diesem Tag gelungen ist, worauf du stolz bist, wofür du gelobt worden bist. Diese täglichen 10 Minuten sind bereits ein Geschenk, das du dir selbst machst. Damit sendest du ein wichtiges Signal an deine Seele. Du schenkst dir selbst die Wertschätzung, nach der wir uns im Außen ja so oft sehnen. Du trainierst damit, deinen Fokus auf deine Erfolge und deine Stärken zu richten und weniger oft auf deine Defizite. Ich verspreche dir – wie allen meinen Klienten, denen ich diese Übung „verordne“: Wenn du das einen Monat täglich machst, wird sich dein Leben verändern.
Und wenn dich beim nächsten Mal jemand nach deinen Stärken fragt, wirst du sie ganz selbstverständlich parat haben. Nie wieder Schockstarre!
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