Also, DU. Wirklich, wirklich!
Als kleines Mädchen lernte ich schreiben noch vor der Schule. Ich kann mich noch genau an die stabilen weißen Karten erinnern, auf denen in roter Schrift erste einfache Wörter standen. Wie sehr ich lesen lernen wollte! Bei uns wurde immer viel vorgelesen, aber ich wollte das unbedingt selbst können. Und so fiel es mir ganz leicht.
Seitdem lese ich. Viel. Unmengen, könnte man sagen. Ich bin eine notorische Leserin. Irgendein Buch liegt immer auf dem Tisch. Romane, Fachliteratur, Kinderbücher. Ich lese auch jedes Werbeplakat, an dem ich im Bus oder der Bahn vorbeifahre. Ich lese Gebrauchsanweisungen, Zeitschriftenartikel, die Zutatenlisten auf Lebensmitteln, einfach alles. Tatsächlich kann ich gar nicht anders. Das ist sozusagen eine Spätfolge meines unbedingten Lesenlernenwollens.
Eine weitere Folge war das Schreiben: Denn irgendwann begriff ich, dass die Bücher, die ich mit so viel Lesehunger las, ja auch von Menschen geschrieben wurden. Das wollte ich auch! Also begann ich, Geschichten zu schreiben.
Vom Wollen zum Müssen
Meine Eltern freute das. Sie unterstützten meinen Drang zu schreiben, bestätigten mich. Sie erzählten allen, dass ich bestimmt mal Schriftstellerin werden würde. Zuerst war ich stolz. Je mehr mir klar wurde, dass „Schriftsteller sein“ wohl etwas ganz Besonderes war, umso stärker wurden jedoch meine Zweifel: Kann ich das? Will ich das wirklich?
Ganz unmerklich verschob sich mein inneres Wollen. Plötzlich war da eine äußere Erwartung. Hatte ich länger keine Geschichte geschrieben, wurde nachgefragt. Das erlebte ich als Druck. Anscheinend musste ich schreiben, um etwas für andere zu tun. Besser schreiben. Mehr schreiben. Ich begann mich zu vergleichen. Das war der Anfang vom Ende meiner wahren inneren Schreibmotivation.
Viel entscheidender war aber, dass ich lange Zeit meinem Wollen nicht mehr vertrauen konnte. Ich war völlig orientierungslos. Ich wusste im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr, was ich eigentlich wollte. Ich. Nicht jemand anders.
Der Moment der Erkenntnis
Mir ist erst kürzlich bewusst geworden, wie sehr ich darunter gelitten habe. Wie viel Zeit ins Land gegangen ist, bis ich wieder andocken konnte an das, was mich im tiefsten Inneren antreibt.
Und wenn ich mich so umschaue, habe ich den Eindruck, dass es vielen anderen Menschen im Grunde ähnlich geht:
- Sie tun das, was sie tun, weil sie damit die Erwartungen anderer erfüllen: der Eltern, des Partners/der Partnerin, der Chefin/des Chefs, des sozialen Umfelds …
- Sie bringen es sogar ziemlich weit damit, weil für uns Menschen als soziale Wesen die Anerkennung und Bestätigung durch andere so unendlich wichtig ist.
- Aber in stillen Momenten fühlen sie manchmal diese Leere in sich. Dieses Fragezeichen, dieses leise Sehnen. War da nicht mal was …?
Kennst du das? Mich würde das nicht überraschen.
Wir stecken so oft in Routinen fest, tun eben immer wieder das, was wir kennen, weil wir das schon so lange tun. Und es tut ja auch nicht richtig weh. Es fühlt sich zuweilen nur so mühsam an. Manchmal dauert es echt lange, bis wir uns aufraffen können. Aber wir trotten halt weiter. Weil wir uns gar nicht mehr fragen, ob wir das wirklich wollen.
Denn die Antwort darauf kann eine gewisse Sprengkraft entfalten.
Wenn du ganz ehrlich bist, kannst du dann auf die Frage „Was willst DU eigentlich?“ eine Antwort geben? Spürst du dann sofort diese Begeisterung in dir, diesen ursprünglichen Antrieb – so wie ich als kleines Mädchen damals, das unbedingt lesen lernen wollte?
Mein Leben. Mein Wollen.
Mir ist klargeworden, dass ich nur noch tun will und werde, was ich wirklich will.
Nicht, weil andere das vorleben.
Nicht, weil ich denke, ich müsste doch mal …
Nicht, weil das angeblich der Weg zum Erfolg ist.
Nur noch das, was ich will.
Und um das zu erkennen, darf ich immer wieder in mich hineinhorchen und -spüren. Mir erlauben, in den Kontakt zu diesem Anteil von mir zu gehen, der ganz genau weiß, was ich will.
Wenn alle nur noch das täten, was sie im tiefsten Inneren wirklich, wirklich wollen, wäre diese Welt ein besserer Ort. Davon bin ich zutiefst überzeugt.
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„Mir ist klargeworden, dass ich nur noch tun will und werde, was ich wirklich will“ klingt verheißungsvoll, ist aber, wenn ich darüber nachdenke, schon ein recht radikaler Ansatz.
Man kann alles bleiben lassen. Es hat aber seinen Preis, Dinge nicht mehr zu tun, die man nicht tun will. Wenn ich meine Erwerbsarbeit hinschmeiße, ohne eine Alternative zu haben, hab ich früher oder später ein finanzielles Problem. Wenn ich mich – was weiß ich? – nicht mehr um hilfsbedürftige Angehörige kümmern möchte, muss ich das negative Echo meines Umfelds aushalten. Und das schlechte Gewissen. Da muss man schon sorgfältig abwägen, ob einen das wirklich glücklicher macht.
Richtig, Edith, das ist radikal. Aber in meinem Verständnis bedeutet das nicht ein egogesteuertes, rücksichtloses Tun. Sondern mehr ein Lauschen nach Innen, nach dem tiefsten inneren Antrieb, dem ich dann folge. Dass ich dann auch Kompromisse machen muss, ist klar. Aber ich weiß dann, wofür. Wird es so deutlicher?
Ja, dankeschön!
Das, was du eingangs in deinem Beitrag schreibst … dass man so lange die Wünsche, Erwartungen und Ansprüche der anderen erfüllt, bis man sie für seine eigenen hält und gar nicht mehr weiß, was man selber wollte, das kenne ich gut. Mir war damals aber nicht bewusst, dass es so ist. Ja, nicht einmal, dass es überhaupt eine Rolle spielt, was ich will. Ich brauchte professionelle Hilfe, um das alles zu begreifen.
Das ist ein halbes Leben her. Und ich kämpfe immer noch mit den Kompromissen.
Die Frage ist aber doch, wie ich herausfinde, was ich _wirklich_ will.
Ja, liebe Biggi, das stimmt. In meiner Potenzial-Challenge gebe ich dazu eine Reihe von Impulsen. Vielleicht wäre das ja was? https://www.heide-liebmann.de/staging/die-potenzial-challenge/