Mein tägliches Brot ist es, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Potenziale aufzuspüren und zu nutzen. Aber was mache ich da eigentlich? Worüber sprechen wir, wenn es um Potenziale geht?
Zurzeit führe ich viele Karrierecoachings durch. Immer wieder bin ich verblüfft, welche Eigenschaften meine Klienten in erster Linie nennen, wenn ich sie nach ihren Stärken frage. Die allermeisten zucken erst mal mit den Schultern und erzählen dann, sie seien „teamfähig“, „motiviert“, „belastbar“ und „flexibel“. Aha.
Natürlich sind das alles Eigenschaften, die in Stellenanzeigen zu lesen sind. Jeder Arbeitgeber will solche Leute. Aber sind das individuelle Stärken? Eher nicht. Sie lassen gar keine Rückschlüsse auf die individuelle Persönlichkeit zu, sind viel zu unspezifisch.
Individuelle Stärken erforschen
Dass es vielen Menschen schwer fällt, ihre Stärken zu nennen, ist ein weit verbreitetes Phänomen. Wir erledigen eben täglich unseren Job, aber welche besonderen Eigenschaften wir dafür benötigen und ganz selbstverständlich einsetzen, machen wir uns selten bewusst. Dabei sind genau das die Potenziale, die uns für Arbeitgeber oder unsere Kunden interessant machen. Es kann sich also durchaus lohnen, diese Punkte einmal näher zu erforschen, denn so arbeitet man seine „Verkaufsargumente“ gezielt heraus – und ganz nebenbei ist das eine wunderbare Übung fürs Selbstwertgefühl.
Wie gehe ich nun vor, wenn ich wissen will, was Menschen wirklich besonders gut können und welche ihrer Eigenschaften von anderen geschätzt werden?
Meistens lasse ich mir im Gespräch erst einmal erzählen, wie so ein ganz normaler Arbeitstag abläuft. Dabei frage ich ständig nach, um wirklich genau zu verstehen, wie die Person arbeitet. Bei dieser detailgenauen Spurensuche werden dann oft schon Stärken deutlich. Beispielsweise erzählte mir kürzlich ein Kunde, er würde morgens zunächst mal seine Mails sichten. Ich fragte dann nach, wie genau das bei ihm abläuft, und es stellte sich heraus, dass er dabei sehr gut priorisieren kann: welche Mails können sofort erledigt und beantwortet werden, welche kann er weiterleiten, welche Aufgaben gehören auf den Tagesplan und in welcher Reihenfolge.
Schwupps, schon haben wir die erste Stärke gefunden: Mein Klient ist sehr gut organisiert. Auf Nachfrage stellt sich dann zusätzlich heraus, dass er sich auch von hohen Arbeitsstapeln auf dem Schreibtisch oder unvorhergesehenen Ereignissen nicht aus der Ruhe bringen lässt. Im Gegenteil: Wenn es hektisch wird, behält er den Überblick und weist sogar den Kollegen ihre Aufgaben zu, die sich dabei mehr oder weniger unbewusst auf ihn verlassen.
Für meinen Klienten ist das ein ganz normales Verhalten. Er kann das eben gut, deshalb ist ihm gar nicht klar, dass das eine ganz besondere Eigenschaft ist, die von Kollegen und Vorgesetzten sehr geschätzt wird.
Das passiert oft. Deshalb frage ich auch häufig, was wohl die Kollegin, mit der er eng zusammenarbeitet, über ihn sagen würde. Oder der Chef. Oder auch die Eltern. Jedesmal zeigen sich dann weitere Aspekte, die ich durch konzentriertes Nachfragen weiter herausarbeite. Es ist tatsächlich ein bisschen Detektivarbeit – deshalb bezeichne ich mich ja auch so gern als Potenzialdetektivin ;-).
Im Ergebnis schreiben wir dann meist mindestens einen Flipchart voll, gern aber auch mal zwei. Meine Klient*inn*en sind fast immer bass erstaunt, wenn sie sich diese Liste dann noch mal durchlesen und erkennen, welche Stärken sie als individuelle Persönlichkeiten erkennbar machen. Und es tut ja außerdem so gut, sich das mal klarzumachen!
Für ein normales Karrierecoaching reicht die bisher beschriebene Arbeit in der Regel völlig aus. Die Klient*inn*en erkennen, welche ihrer Stärken sie im Bewerbungsprozess in den Vordergrund schieben sollten, weil sie konkrete Beispiele nennen können. Und das tut Wunder für die selbstbewusste Ausstrahlung.
Der zweite Schritt: verborgene Potenziale erkennen
Doch oft finden auch Klient*inn*en zu mir, die irgendwie unzufrieden mit ihrer Lebenssituation sind. Sie spüren vielleicht, dass noch mehr drin wäre, aber sie können den Finger nicht darauf legen, was das sein könnte. Etwas in ihnen ist auf der Suche, rührt sich, macht sich irgendwie bemerkbar, aber es bleibt diffus. Die Klient*inn*en fühlen sich oft verwirrt, sind strubbelig im Kopf und stellen sich im wahrsten Sinne des Wortes die Sinnfrage: wofür das alles?
Manchmal fällt der Groschen dann tatsächlich schon bei der oben beschriebenen Arbeit, aber sehr oft müssen wir sozusagen eine Ebene tiefer gehen. Da gibt es dann verschiedene Möglichkeiten, und meist lässt sich so eine Spurensuche auch nicht in einer einzigen Sitzung durchführen.
Eine Variante ist die Arbeit mit dem Lebensfluss: Die Klient*inn*en zeichnen ihr Leben als Fluss auf und machen sich dabei bewusst, in welchen Lebensphasen er ruhig und beschaulich vor sich hin plätscherte, wo es vielleicht Stromschnellen gab oder wichtige Zuflüsse. Diese bildliche Form der Biografiearbeit hilft wunderbar dabei zu erkennen, an welchen Stellen man besondere Stärken ausgebildet hat, insbesondere beim Umgang mit Krisen jeglicher Art.
Auch Ressourcen auf dem persönlichen Zeitstrahl einzusammeln, kann eine adäquate Methode sein, Menschen ihre Potenziale erfahren zu lassen. Vor allem ist die Timelinearbeit sehr hilfreich, wenn es darum geht, Blockaden aufzuspüren. Denn oft kommen wir ja nicht an unsere Potenziale heran, weil in unserem inneren System irgendwo ein Verbotsschild davor steht. Das gilt es aufzuspüren und das Verbot gegebenenfalls zu entmachten.
Sehr gerne arbeite ich auch mit dem Modell der Persönlichkeitsanteile. Denn in unserem inneren System gibt es immer einen Grund, wieso bestimmte Eigenschaften nicht ausgebildet werden durften, andere dafür sehr stark präsent sind. Es kann sich lohnen, die verschiedenen Persönlichkeitsanteile, die für unser Verhalten quasi „zuständig“ sind, miteinander in einen Dialog zu bringen. Oft offenbaren sich dabei mit einem Mal interessante und bisher ungenutzte Potenziale, die sich nun frei entfalten dürfen. Das zu begleiten und mitzuerleben, ist für mich als Coach immer sehr beglückend und erfüllend.
Und was mache ich jetzt damit?
Diese Frage stellt sich dann in der Tat oft. Seine Potenziale zu erkennen, ist das eine. Doch zu entscheiden, was das für das konkrete Leben bedeutet, kann noch mal ganz neue Türen öffnen und andere Prozesse in Gang setzen. Wer sich auf die Suche nach seinen Potenzialen begibt, sollte sich über dieses „Risiko“ im Klaren sein. Einmal entdeckte Potenziale wollen auch gelebt sein, in welcher Form auch immer.
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